Gibt es Rassismus im Fairen Handel??

Ich erinnere mich sehr genau an das Gespräch, das ich vor einigen Jahre mit meinem Bruder führte, als ich zu Besuch in Costa Rica war. Ich versuchte ihm den FH zu erklären, die Ziele des FH und wie er entstanden ist. Seine Reaktion überraschte mich. Der FH ist für ihn nichts anderes als eine Art „Beruhigungspille“ für die Deutschen, um ihr schlechtes Gewissen zu besänftigen. In dieser Richtung zielt auch die Kritik von Timo Kiesel in seinem Artikel: „Armutsbekämpfung als Geschäftszweck“. Er analysiert den FH und glaubt rassistische Ansätze dort zu finden, wo eigentlich keine geben dürfte. Ist der FH rassistisch? Ist das so?

Der Rahmen und die Theorie
Wenn ich den Artikel lese, finde ich einige Punkte diskussionswürdig, andere wiederum hinterlassen bei mir einen komischen Beigeschmack. Die Kritik suggeriert eine Analyse des FH in seiner Gesamtheit, verortet ihn in Deutschland und als Instrument der Entwicklungszusammenarbeit. Die Analyse bedient sich einiger Elemente der Dependenztheorie, also jene Denkrichtung, die in den 60er und 70er Jahre so beliebt und populär in Lateinamerika war, um das eigene Versagen der lateinamerikanischen Gesellschaft zu erklären.

Das sind die Prämissen, unter denen versucht wird, den FH rassistischen Ansätze anzulasten. Die entscheidende Frage ist nicht unbedingt, ob die Grundlage auch dafür tauglich sind, sondern ob die Aussage „der FH hat rassistische Züge“ der Wahrheit entspricht.

Die Thesen
Welche sind wichtigsten Schlußfolgerungen des Artikels? Die ersten sind die Fundamente des FH oder seine ideologische Grundlage. Der FH strebt einen hegemonial westliches Entwicklungsmodell für die Ländern des Südens, das heißt die Durchsetzung eines System, das historisch eine Überlegenheit des Norden über den Süden darstellt. Entwicklung und Unterentwicklung sind insofern negativ behaftet und weisen kolonialistische und rassistische Züge auf.

Die zweite These ist eine kontinuirlichen “Unpolitisierung” des FH. In dem der FH seine Haupttätigkeit stark auf Kommerz fokussiert, will man bei den Konsument den Eindruck erwecken, die Welt beim Einkaufen zu verändern. Die politische Hintergründe dieser Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd werden nicht “thematisiert”

Meine Meinung nach bezieht sich die wichtigste Kritik des Artikel darauf, dass der FH Augenwischerei betreibt, wenn er den Verbrauchern das Gefühl gibt, sich für eine Partnerschaft auf Augenhöhe entschieden zu haben. Ist „Partnerschaft auf Augenhöhe“ überhaupt möglich wenn die Partner so ungleich sind bzw. unterschiedliches Entwicklungsniveau haben? Verblendet uns die Idee des FH so sehr, dass wir reale Macht- und Marktverhältnisse nicht berücksichtigen?

Eine Kritik an die Kritik

Der Rahmen und das Instrument: Eine Analyse des FH in seiner Gesamtheit anzustreben, setzt notwendigerweise voraus, den FH als eine Bewegung von globalen Akteuren zu betrachten und diese nicht nur auf nationale Grenzen einzuschränken, sondern den Süden als Akteur des FH zu sehen und so wahrzunehmen. Die geographische Einengung der Analyse auf den Norden, degradiert den Süden zum Objekt, zum passiven Teilnehmer des FH ohne Rechte und ohne Pflichten. Indem die Analyse den FH als eine Initiative aus den Norden suggeriert, werden die Organisationen des Südens auf eine Empfängerposition reduziert, gleichzeitig werden die Errungenschaften des FH und den Organisationsdrang des Süden wie CLAC, Fundepo oder selbst SPP (Symbol von Kleinbauern) ignoriert.

Wenn wir übereinstimmen, dass der FH global ist, dann kann er nicht als Insturment der internationalen Zusammenarbeit (EZ) geführt werden, so wie in den Artikel “Armutsbekämpfung als …” dargestellt wird. Auch wenn der FH mit ethischen Elementen ausgestattet ist, ist er immer noch eine Handelstätigkeit, eine Interaktion von Menschen mit dem Ziel Bedürfnisse zu befriedigen. Als solche unterliegt der FairHandel Marktgesetze, also wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die sich den Einflussmöglichkeiten der EZ entziehen. Der wesentliche Unterschied zwischen EZ und FH ist für mich allerdings die Tatsache, dass die EZ ein Instrument der Regierungspolitik ist, während der FH ein Ausdruck der Zivilgesellschaft ist.

Für die Kritik am FH werden in dem Artikel “Armutsbekämpfung …” Elemente der Dependenztheorie zugrunde gelegt, also jene Denkrichtung, die in Lateinamerika sehr populär war und als Erklärung über das eigene Versagen der lateinamerikanischen Gesellschaften diente. Diese Theorie stellt die Entwicklungsländer wiederum als Objekt der Entwicklung dar, berücksichtigt dabei nicht, dass Entwicklung oder Unterentwicklung in den Strukturen der eigenen Gesellschaften zu suchen und zu finden sind. Die Rahmen und die Instrumenten, die als Grundlage für eine Rassismuskritik an den FH fungieren, scheinen mir aus einer eurozentrischen Logik gewählt worden zu sein.

Eine Kritik an den “Grundlagen”
Dem FH wird das Bestreben nach einem Entwicklungsmodell nach westlichem Muster, die Dominanz eines sogenannten „westlichen Entwicklungsparadigma“ nachgesagt. Man vermutet Rassismus und Kolonialismus hinter diesen Streben. Ob das so ist, ist sehr schwierig zu durchleuchten. Lateinamerika hat beispielsweise verschiedenen Entwicklungsmodelle vollzogen, und experimentiert immer noch. Bei alle diesen Modellen streben die Gesellschaften nach Zugang zu medizinischen Versorgung, Bildung, gesunde Ernährung, zum Arbeits- und Kapitalmarkt, zur Justiz, zur politischen Teilhabe und Partizipation und Chancengleichheit für die Gesamtheit einer Gesellschaft. Diese Ziele verfolgt der FH als globale Bewegung auch, aber stellen diese Errungenschaften ein „westliches Entwicklungsparadigma“ dar? Und wenn schon, ist das rassistisch?

Die Welt unterteilen wir zwischen entwickelten und unterentwickelten Regionen. Wir sprechen in erster Linie von Bedürfnisbefriedigung. Gesellschaften, die sich einem Zustand der vollständigen Bedürfnisbefriedigung annähern, sind entwickelt. Das ist positiv. Wenn Bevölkerungsgruppen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können, dann sprechen wir von Unterentwicklung, das ist negativ. Daraus folgt: Entwicklung ist positiv und das Gegenteil ist negativ. Es ist weder rassistisch noch kolonialistisch, es ist eine Tatsache! Wir können es umbenennen: Optimale und suboptimale Gesellschaften. Für diejenige, der unter einer suboptimalen Gesellschaftsordnung leiden, wird relativ egal sein, wie wir ihren Zustand bezeichnen. Es wird ihn auch nicht interessieren ob der Begriff der Entwicklung oder Suboptimierung aus der Kolonialzeit stammt. Tatsache ist, dass es in den Süden ein Entwicklungs- oder Optimierungsbedarf besteht. Er ist da, wir können es nennen wie wir wollen, er ist da!

Ist der FH unpolitisch geworden? Ja,
Leider ist der FH unpolitisch geworden. Gott sei Dank es ist nur in Norden so. Systemkritische Frage über den Kapitalismus, Rassismus oder Kolonialismus werden hier in Norden nicht thematisiert. Allerdings sind sie im Süden auch kein Thema, es interessiert wirklich keinen, wahrscheinlich liegt der Grund dafür, dass die Organisationen innerhalb des System agieren, es gibt nun mal kein Anderes. Aber ist der FH deswegen rassistisch? Soweit ich weiß, hat der FH nie die Systemfrage gestellt. Der FH trat für eine Änderung der Wirtschaftsstruktur mit und im Süden an, nicht um das System zu ersetzen. Diese Änderung wird in erster Linie nicht durch starke Politisierung des FH in Norden stattfinden, sondern durch die Stärkung der FH in Süden. Während in Süden die Frage der Wertschöpfung als eine Frage der Machtverhältnisse diskutiert wird, und das ist in erster Linie eine Frage der nationalen Strukturen in den Ländern des Südens, setzt der FH in Norden auf Kommerz. Auch wenn es uns nicht ganz gefällt, hat diese Ausrichtung des FH-Nord dazu beigetragen, dass der FH-Süd einen politischen, wirtschaftlichen, akademischen und sogar einen gastronomischen Raum in den Erzeugerländer erkämpft hat.

Die Produzentenorganisationen müssen ihre Produkten verkaufen, sie brauchen dafür effiziente Vermarktungswege, Marketingssysteme, effektive Kommunikationsmittel und viel Lobbyarbeit. Der Norden hat sich auf diesen Bereich in den letzten Jahren konzentriert und war sehr erfolgreich dabei. Der Süden ist auch beschäftigt, seine Produktqualität, ihre Organisation- und Vermakrtungssstrukturen zu verbessern. Ohne eine Kommerzialisierung des System wäre für den FH (sowohl in Norden als auch in Süden) auch unmöglich gewesen, eine Optimierung der Gesellschaften herbeizuführen. Der FH soll in Norden politischer werden, keine Frage. Aber ob Themen wie Kolonialismus, Kapitalismus oder Rassismus die richtigen Themen sind, wage ich zu bezweifeln. Andere Themen werden sowohl für den Norden als auch für den Süden wichtiger: Klimawandel, Wasserknappheit, Initiativen wie SPP (Siegel von Kleinbauernorganisationen aus Lateinamerika). Das sind Zukunftsthemen.

Sind Beziehungen auf Augenhöhe möglich?
Der FH ist bemüht, seine Beziehungen auf Dialog, Transparenz und Respekt auszurichten. Das geht auf beide Seiten. Aber ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe möglich, wenn die Parteien so unterschiedlichen Entwicklungsstadien haben? Und wenn nicht, wer übt denn hier Macht über wen aus? Beherrscht der Norden den Süden? Eine Antwort auf diese Fragekomplex ist wirklich schwierig.

Der FH in Form von FairTrade ist in den Bergen von Tehuantepec / Mexiko entstanden, UTZ ist in Guatemala geboren worden, nach und nach wurden beide Systeme in Europa angesiedelt. Es sieht so aus, dass die Spielregeln dem Süden noch aufgezwungen werden. So gesehen, bestehen klare Machtverhältnisse zu Gunsten des Nordens und manche würden auch von kolonialen Züge sprechen. Wenn ich ehrlich bin, empfinde ich manchmal auch so ein Gefühl.

Die Lage verändert sich aber seit einigen Jahren durch das Auftreten auf der Bühne von Initiativen wie CLAC oder SPP (aus Lateinamerika), die innerhalb des FH als Interessenvertretung der Kleinbauernorganisationen auch mitspielen wollen. Sie wollen das System nicht ersetzen, sondern die Machtstrukturen verändern. Allein das Entstehen von diesen Initiativen ist eine Wirkung des FH. Wir erleben eine langsame aber stetige Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb des FH

Andererseits unterliegt der FH als ökonomische Interaktion zwischen Menschen Marktgesetze. Aus dieser wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeit ergeben sich auch Machtverhältnisse. Ich gewinne den Eindruck, dass der FH langsam an einem Punkt ankommt, wo alle Teilnehmer abhängig voneinander sind. Innerhalb dieses System beginnen, die Machtverhältnisse sich zu verschieben. Die Aussage: „es besteht die Gefahr, dass zögerliche Produzenten_innen sich nicht trauen, offen zu sagen wie viel Geld sie wann benötigen, da sie Angst vor negativen Konsequenzen haben“ kann ich heute nicht zu 100% bestätigen. Die Erfahrung zeigt mir teilweise eine andere Praxis.

Wir müssen den FH-Süd in unseren Diskussionen stärker einbeziehen, der FH-Süd muss diese “Teilhabe” fordern, sich in die Diskussion hier bei uns einmischen. Darunter hat der FH in seiner Gesamtheit gelitten.

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