Mehrmals habe ich meinen Antrag auf Einbürgerung bei der Ausländerbehörde eingereicht und genau so viele Male habe ich auf die Chancen der Einbürgerung bzw. der deutschen Staatsbürgerschaft verzichtet.
Als ich mich zum ersten Mal entschieden habe, Deutscher zu werden, wohnte ich in Marburg. Es war gegen Ende der 90er als ich anfing, mich mental auf die Staatsbürgerschaft vorzubereiten. So ein Prozess war nicht einfach, der deutsche Staat verlangte von mir damals wie heute, dass ich die peruanische Staatsbürgerschaft aufgebe. Diese Bedingung schien mir früher vernünftig, man kann nicht auf zwei Partys tanzen, das Zentrum meines Lebens war in Deutschland mehr oder weniger fest verankert. Meine Tochter ging zur Schule in Marburg und mit ihr, die mir so nah steht, kommunizierte ich damals wie heute nur auf Deutsch (blöder Fehler). Ich hatte keine oder fast keine Kontakte zu Landsleuten, interessierte mich auch nicht besonders für Peru oder Südamerika und über die Jahre habe ich in Deutschland und in der Gesellschaft bestimmten Aspekte entdeckt, die mich faszinierten und mich zu diesem Land hinzogen. Ich war emotional bereit in Deutschland aufzugehen, mich mit diesem Land gefühlsmäßig zu verschmelzen. Ja, ich wollte damals Deutscher werden! Und habe mich entschieden, an die Tür von Deutschland anzuklopfen: „Ich will rein“!
Leider habe ich die Frage falsch gestellt, ich hätte fragen sollen: „Darf ich rein?“. Denn hierfür, wie überall in Leben, werden zwei gebraucht. Ich war bereit, aber die andere Seite war nicht so richtig begeistert. Also erst mal zum „Türsteher“ bzw. zur Ausländerbehörde.
Wie gesagt, es war Ende der 90er als ich mich entschied, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ich habe alle Dokumente zusammengestellt, also Geburtsurkunde, Schulzeugnisse, Heiratsurkunde und hatte mit dem peruanischen Konsulat die Angelegenheit geregelt bzw. die Frage beantwortet, was auf mich zukäme, wenn ich den peruanischen Status aufgäbe. Allein das Zusammenstellen der Dokumente war schon eine Odyssee, erst mal die Dokumente beschaffen, beglaubigen, übersetzen lassen und dann noch mal die Übersetzung beglaubigen lassen, dann unzählige Formulare richtig ausfüllen und die Fragen auch richtig beantworten. Dass die Bürokratie in Deutschland einen die letzten Nerven kosten kann, hatte ich mir nicht so richtig vorgestellt. Das kannte ich nur von Peru, wobei wenn die Zahnräder der peruanischen Bürokratie richtig geölt sind, funktionieren sie sagenhaft schnell und gut. Schmiermittel brauchte man nicht in Deutschland, dafür aber jede Menge Formulare und Papierkrieg. Alle Dokumente waren fertig, nun mussten sie bei der Ausländerbehörde ankommen.
Monate später bekam ich einem Brief aus Gießen vom Regierungspräsidium Gießen. Dort stand ganz lapidar sinngemäß: „ Wir haben Ihren Antrag bekommen, die Bearbeitung kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Bitte kontaktieren Sie uns nicht, wir werden Sie auf dem Laufenden halten“. Die Monate vergingen und ich hatte keine weitere Rückmeldung. Nach 6 Monaten griff ich zum Hörer und wählte die angegebene Nummer, eine trockene Stimme auf der andere Seite sagte mir: „Sie haben einen Brief von uns erhalten, dort steht dass wir Sie kontaktieren werden“. Ja, das stimmt, aber bis… „ also halten Sie sich bitte an das, was in dem Brief steht, wir werden Sie anrufen, wenn wir etwas von Ihnen brauchen“ und dann hat er aufgelegt. Drei Monate später unternahm ich den zweiten Versuch und rief an, diesmal hatten sie meine Unterlagen verloren. Ich sollte ein anderes Mal anrufen, denn sie hätten viel zu tun. Ich ließ noch drei Monate vergehen und rief noch mal an, die Stimme auf der anderen Seite „Sie haben von uns einen Brief erhalten, dort steht, dass wir Sie anrufen werden, wenn wir etwas von Ihnen brauchen…“ Jetzt, 2015, gehe ich davon aus, dass die Ausländerbehörde immer noch nichts von mir braucht, sonst hätten sie mich längst angerufen. Nur Deutscher wurde ich beim ersten Anlauf nicht.
Ist das Rassismus? Bürokratie? Keine Ahnung!
Der zweite Anlauf war gegen 1999. Als ich nach Deutschland kann, war Helmut Kohl ein paar Monate an der Regierung. Seine Politik hat mich seit meiner Ankunft im Jahr 1983 bis 1998 begleitet. Der Triumph der Sozialdemokraten und Grünen in Jahr 1998 brachte für mich eine Aufbruchstimmung mit sich. Nicht dass ich mit der rot-grünen Politik einverstanden wäre, aber endlich mal etwas anderes und vielleicht etwas Neues. Die Doppelpass-Politik und der Multikulti-Ansatz haben mich sehr angesprochen. Wieder mal wollte ich dazu gehören und habe angefangen, alle Dokumente noch mal zusammenzustellen. Der Wahlkampf in Hessen ging in die heiße Phase, Roland Koch hatte seine Unterschriftenkampagne gegen die Doppelstaatsangehörigkeit gestartet. Eines Tages ging ich durch die Hauptstraße in Marburgs Innenstadt, am Eingang eines großen Einkaufszentrums stand ein Stand der CDU. Der Kandidat sammelte Unterschrift gegen die Doppelpass-Politik der rot-grünen Regierung. Ich hielt an, wollte mich informieren, warum so eine Politik schlecht sein sollte. Ich sprach mit einem von der CDU, plötzlich kam ein Ehepaar zum Stand, guckte mich an und fragte: „Wo kann man gegen die Ausländer unterschreiben?“ Ich war von dieser Anfrage so verblüfft, dass ich kein Wort über die Lippen brachte. Der CDU-Vertreter, der sich mit mir gerade unterhielt, zeigte zu dem Ehepaar: „Hier können Sie unterschreiben“ Er hätte auch sagen können: „Hier können Sie gegen die Doppelpasspolitik unterschreiben“ Nein, er sagte: Hier können Sie unterschreiben! Ich dachte, ich will rein nach Deutschland, aber sie wollen mich nicht drin haben! Alle Dokumente sind in der Schublade meines Schreibtischs geblieben.
Erinnern wir uns: Roland Koch gewann die Wahl dank dieser Unterschriftenkampagne.
Ist die Haltung dieses Ehepaares rassistisch? Ich beantworte die Frage mit einem klaren Ja!
Eines Tages, als ich in Marburg lebte, wollte ich meine Tochter zur Schule begleiten, wir nahmen den Bus, der uns zur Schule bringen sollte. Auf dem Rückweg habe ich auf den Bus an der Haltestelle gewartet, es war die letzte Station, der Busfahrer hatte seine Pause und las seine Zeitung, das Bus war zu, man konnte nicht einsteigen. Ich klopfte an die Tür und fragte den Busfahrer ganz freundlich, ob ich rein darf (wieder mal dieses „darf ich rein“). Er öffnete die Tür und kam auf mich zu, so als ob er mich schlagen wollte und fing an mich zu beschimpfen und mich zu beleidigen: „Du Scheißausländer, was willst du? Siehst du nicht, dass ich Pause mache, hau ab, Scheißausländer“. Ich bin weg gerannt, ich glaube, er hätte mich geschlagen, wenn ich da geblieben wäre. Ich notierte die Autokennzeichnen, die Uhrzeit und die Haltestelle, wo alles geschehen ist. Zu Hause habe ich bei den Marburger Stadtwerken angerufen und mich erst mal telefonisch beschwert. Ich hatte eine Dame am Telefon, die alles aufgenommen und mich mit der nächsthöheren Stelle verbunden hat, bei der ich alles noch mal erzählte. Die Tage vergingen, bis ich eine Einladung bekam, meine Aussage mit der Aussage des Busfahrers zu konfrontieren. Es war eines Nachmittags als ich im Büro der Leiter der Stadtwerke erschien. Der Busfahrer war auch dabei und ich wurde aufgefordert, meine Sicht der Dinge noch mal vorzutragen, was ich auch tat. Der Busfahrer, erwartungsgemäß, hat alles bestritten, er sagte sogar, dass er mich nie gesehen habe. Es ging so um die 30 Minuten, Aussage gegen Aussage, die anderen Mitarbeiter wussten nicht, wie sie intervenieren sollten. Die seltsame Lage beendete ich, indem ich sagte: ich will keine Entschädigung, nicht mal eine Entschuldigung von dem Busfahrer. Das einzige was ist möchte… und richtete meinen Blick auf den Leiter … ist, dass Ihnen bewusst wird, welche Leute Sie hier beschäftigen, mehr will ich nicht. Dann bin ich aufgestanden und weggegangen.
War das Motiv des Busfahrer Rassismus? Ich glaube Ja!
1986 war ich nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland zum ersten Mal in Peru gewesen. Damals begleitete mich meine Ex-Frau, sie ist Deutsche. Wir waren auf eine Party von einem Freund in der Nachbarschaft eingeladen. Alle Gäste waren so in unserem Alter, wir haben die Eltern des Gastgebers begrüßt, danach habe ich meine Freundin meinen Nachbarn vorgestellt, alle fragten auch interessiert, wo sie herkommt und wie es ist in Deutschland, bis wir zu Manolo kamen. Er fragte sie: wo kommst du denn her? Aus Deutschland sagte meine Freundin. Da stand Manolo auf und mit erhobener Hand sagte er zu ihr: „Heil Hitler“ Alle drehten sich um und guckten uns als wäre wir richtige Mörder. Ist das Rassismus? Nein, das ist die Stigmatisierung einer Gesellschaft aus Ignoranz.
Ende 2014 war ich auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Es war eine kleine Gruppe von Personen, die eingeladen waren. Alle äußerst sympathisch und extrem freundlich. Wir waren um die 10 Personen, die am Tisch saßen. Wir unterhielten uns über dieses und jenes, ich weiß nicht genau wie, aber plötzlich sprachen wir über Religion, genauer gesagt versuchten wir, über Islam und Pegida zu sprechen. Religion ist sowieso ein heikles Thema, besonders in Zeiten wie diesen. Jeder sagte seine Meinung über die aktuelle Lage, nichts Böses und nichts Aufregendes, bis einer von den Anwesenden bemerkte, dabei guckte er mich an: also Franziscus, auch wenn er Argentinier ist, macht gute Sachen“. Es war nicht der Satz, der mich gestört hat, sondern die Art und Weise, wie der Satz ausgesprochen wurde, also diese Selbstverständlichkeit, diese Natürlichkeit und Leichtigkeit in der Stimme. Wer hätte es gedacht, ein Argentinier!!!
Ist das Rassismus? Keine Ahnung! Hier möchte ich mir kein Urteil erlauben.